Kontextuelle Informatik
Die Fachgruppe Kontextuelle Informatik unterstützt im Projekt den Forschungsdiskurs von Kunst- und Wirtschaftshistorikern durch die Entwicklung einer webbasierten Arbeitsumgebung. Die Herausforderung ist dabei, den Eingabeprozess in die zu entwickelnde historische Datenbank so früh wie m?glich zu unterstützen und dabei semantische Zusammenh?nge und darauf aufbauende Suchanfragen flexibel zu erm?glichen. Das entwickelte formale Datenbankschema soll Objektrelationen ohne einschr?nkende Festlegung erlauben, jedoch nicht erzwingen.
An die Aufbereitung der unterschiedlichen Quellen mit ihren verschiedenen Ausgangsformaten und Repr?sentation schlie?t sich nach entsprechender Ablage in der Datenbank die weitergehende Analyse und ein entsprechender Forschungsdiskurs an. Das System erm?glicht dabei eine hermeneutische Feinarbeit im Sinne eines ?Close Reading“, die nach M?glichkeit zu einem entsprechenden Erkenntnisgewinn führt, der sich allein durch strukturierte Dateneingabe und blo?e Volltextsuche nicht realisieren lie?e. Abschlie?end sollen die gewonnenen Forschungsergebnisse aufbereitet und visualisiert werden, um sie der interessierten ?ffentlichkeit online pr?sentieren zu k?nnen.
Die anf?nglich vollzogene klassisch-informatische Herangehensweise mit Fokus auf dem Arbeitsgegenstand, n?mlich die Implementation einer von Grund auf projektspezifischen Datenbank basierend auf einer anf?nglich analytisch ermittelten Objekthierarchie, erwies sich als wenig geeignet: Weniger offensichtliche Strukturen und semantische Zusammenh?nge entfalteten sich teilweise erst im Laufe der Projektlaufzeit im interdisziplin?ren Forschungsdiskurs und zwangen zu immer neuen Umbauten am Objektmodell. Dem geschuldet erfolgte ein Perspektivenwechsel, wodurch nunmehr der Arbeitsprozess in den Vordergrund rückte: Die Datenbank wurde auf einer zun?chst generischen Objektstruktur realisiert, w?hrend spezifische Objekt-Eigenschaften und Bezüge zwischen unterschiedlichen Objekttypen erst nachtr?glich erweitert wurden.
Zur Umsetzung dieses Ansatzes fiel die Wahl auf die im kulturwissenschaftlichen Umfeld bew?hrte Open Source Software-Plattform Omeka. Dessen spezifische Eigenschaften unterscheiden sich deutlich von denen eines gew?hnlichen, webbasierten Content Management Systems: Neben der M?glichkeit zur Pr?sentation der eingepflegten Inhalte in einem ?ffentlichen Web-Frontend gestattet Omeka vor allem die strukturierte Speicherung von verschiedensten, immanent generischen Objekttypen und deren Verknüpfung untereinander, mitsamt Werkzeugen zur tiefergehenden semantischen Analyse des Datenbestandes sowie der anschlie?enden Online-Pr?sentation der Ergebnisse.
Auf der Basis mitunter unscharfer oder sogar widersprüchlicher Quellen und gleicherma?en offener Bezüge wurde im interdisziplin?ren Dialog zwischen Kulturwissenschaft und Kontextueller Informatik ein Datenmodell entwickelt, in dem für den Forschungsprozess bedeutsame Objekte (wie etwa Geb?ude, Personen, Transportmittel, Quellen etc.) definiert sind, die mit digitalisierten Quellenfunden angereichert werden k?nnen. Dieser mehrstufige Prozess offenbarte ein grundlegendes Problem: W?hrend die grunds?tzliche Objekthierarchie gut überschaubar ist, entfaltete sich der Bedarf für eine feinere Objektgranularit?t mit vertiefender Semantik oft erst bei der Testeingabe von Beispieldaten. H?ufig handelt es sich dabei um immanent unscharfe kulturwissenschaftlich-forschungstheoretische Aspekte (wie beispielsweise die vergleichende Betrachtung von ungenau definierten Kalenderdaten und Zeitspannen, wahlweise im Gregorianischen oder im Julianischen Kalender), deren Bedeutsamkeit zwar implizit bekannt ist, die sich aber bei expliziter Betrachtung im üblicherweise exakt spezifizierten informatischen Kanon schwer modellieren l?sst.
Aufgrund der Verwendung gebr?uchlicher Web-Technologien im Open Source Umfeld kann Omeka nach tiefergehender Betrachtung der Problemstellung mit überschaubarem Aufwand um zus?tzliche Funktionen erweitert werden. Dies gilt insbesondere auch für erweiterte bzw. verfeinerte Suchfunktionen, die folglich auf semantischer Ebene weit über die reine Volltextsuche hinausgehen. Auf Basis der strukturiert aufbereiteten Daten und Suchergebnisse k?nnen anschlie?end bestehende und auch neu formulierte Forschungshypothesen einfacher überprüft werden, indem beispielsweise Ergebnisse von Suchanfragen über die Objekte und ihre Beziehungen systematisch ausgewertet werden.
Der Projektbeitrag der Kontextuellen Informatik geht also deutlich über einen reinen ?Software-Lieferanten“ hinaus: Im interdisziplin?ren Dialog mit den Kulturwissenschaften entsteht einerseits eine strukturiertere Sicht des Themenfeldes als sie bislang offensichtlich war. Andererseits entstehen neuartige Eingabe- und Analysewerkzeuge, mit denen die Entwicklung und ?berprüfung neuartiger Forschungshypothesen erst m?glich wird.